Nach sieben Jahren in der Startup- und Innovationsszene habe ich mir die Zeit genommen meine Perspektive auf diese, meine Bubble zu vertiefen. Ein Meilenstein dabei war meine Ausbildung zum Certified Teacher für Search Inside Yourself (SIY). SIY ist ein weltweit erfolgreiches Leadership-Programm, das bei Google entwickelt wurde und emotionale Intelligenz, Achtsamkeit und Resilienz vermittelt. In diesem Artikel möchte ich die Erkenntnisse des ersten Experiments, bei dem wir SIY mit Innovation kombiniert haben, mit dir teilen – die Sh|ft Summer School 2020.

 

Die Summer School 2020 war ein kostenloses, sechswöchiges Online-Weiterbildungsprogramm mit 54 Teilnehmern unter dem Motto: Start one thing – but start with yourself. Das Ziel dabei war es, Teams zu bilden und Innovationen zu verwirklichen, die die Welt positiv beeinflussen und zu den Menschen in den Teams passen. Im Vergleich zu einem klassischen Innovationsprogramm eher ein De-Accelerator für die Ideen, aber ein Accelerator für die persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmenden. Die Grundannahme dabei ist, dass persönliche Transformation die Basis für Innovation bildet, die echte Veränderung bewirkt. Vielleicht kommt dir das aus der Theory U von Otto Scharmer (Prof. am MIT) bekannt vor.

 

Mensch sein, positiv wirken, unternehmerisch handeln - der Rahmen der Shift Summer School
Mensch sein, positiv wirken, unternehmerisch handeln – der Rahmen der Shift Summer School

Unser Kernteam bestand aus vier Personen (Bella, Serge, Motoki und ich) und wir wurden von dutzenden Menschen unterstützt. Das gesamte Projekt fand auf ehrenamtlicher Basis statt und war ein Experiment für eine alternative Herangehensweise für Entrepreneurship und Innovation. Eine ausführliche Beschreibung der Summer School findest du in diesem wunderbaren Artikel von Serge.

 

Hier meine fünf wichtigsten Learnings, einige davon sind wahre Game-Changer für mich.

 

  1. Vertrauen ist die Basis für Innovation
  2. Echte Empathie fühlt man
  3. Überforderung stoppt Innovation
  4. Storylistening inspiriert
  5. Innovation sollte man vorleben

 

 

1. Vertrauen ist die Basis für Innovation

Ich habe noch nie zuvor erlebt, dass in einem Format bei dem es um Innovation und Entrepreneurship geht, so schnell ein sicherer Vertrauensraum entstanden ist. So eine sichere Atmosphäre fördert das Aussprechen von kontroversen Ideen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Das wiederum legt den Grundstein, um durch Experimentieren, durch kleine Fehler, Neues zu lernen und innovative Angebote zu schaffen. Durch diese vertrauensvolle Umgebung wurden Offenheit und Kollaboration in den Teams und in der ganzen Gruppe gefördert. Die Teilnehmer waren mutig genug, ihren Standpunkt auch mal zu verändern, Nein zu sagen und kritisches Feedback zu geben und zu akzeptieren.

 

“Diesen Raum gilt es zu kultivieren, die Wahrnehmung, dass es diesen Raum gibt, ist nicht selbstverständlich. Es gilt da, sehr mitfühlend zu sein mit Menschen, die Ängste haben, denen es schwer fällt sich in diesen Raum zu begeben. Deshalb sind solche Formate, wie hier, so wichtig, um Vertrauen und Verbundenheit entstehen zu lassen, damit man sich einlassen und öffnen kann.”

Iwan (Teilnehmer Summer School)

 

Psychologische Sicherheit

Das Vertrauen einen immensen Einfluss auf die Leistung eines Teams und Innovation haben, wurde in vielen Studien nachgewiesen. Ein bekanntes Beispiel ist „Project Aristotle“, bei dem untersucht wurde, was die erfolgreichsten Teams bei Google gemeinsam haben. Als größter Einflussfaktor wurde allen voran Psychologische Sicherheit identifiziert. Wenn dich das interessiert, dann schau dir unbedingt den Vortrag von Amy Edmondson (Prof. an der Harvard Business School) zum Thema an. Sie gilt als die Begründerin des Konzepts der Psychologischen Sicherheit.

 

Diesen sicheren Raum in der Summer School so schnell zu kreieren war möglich, weil wir uns zunächst „nur“ als Menschen begegnet sind, mit allen unseren Emotionen, Schwächen, Ängsten und Träumen. Die Teilnehmenden wurden zum Kick-Off mit einem live Klavierstück von Michael Nickel empfangen, welches von einer Achtsamkeitsübung durch Motoki begleitet wurde. Auf diese Weise hatte jeder die Möglichkeit tatsächlich anzukommen und länger fokussiert zu bleiben. Anschließend folgten diverse paarweise Break-Out Sessions, bei denen es um vermeintlich einfache Fragen ging, wie z.B. „Was liebst du zur Zeit an deinem Leben und was sind deine größten Herausforderungen?“. Diese kurzen Gespräche sorgten auf menschlicher Ebene für eine starke Verbundenheit. Im weiteren Verlauf wurden immer wieder derartige Elemente in das Programm integriert, mal mehr, mal weniger explizit.

 

2. Echte Empathie fühlt man

Bewusste Reflektionsphasen waren ein wichtiges Kernelement über die gesamten sechs Wochen. Es ging darum, die eigenen und die Emotionen anderer Teilnehmenden wahrzunehmen. Dafür braucht es Zeit, die bei vielen Accelerator-Programmen nicht eingeräumt wird. Das aufmerksame Beobachten von Emotionen und Gedanken ermöglicht einen konstruktiven Umgang mit selbigen. Es entsteht eine Basis für emotionale Agilität, die uns hilft mit schwierigen Emotionen klarzukommen und uns nicht von ihnen beherrschen zu lassen. Eine starke eigene emotionale Agilität fördert darüber hinaus das Empathievermögen, also das Mitfühlen der Emotionen anderer Menschen.

 

Fühlen, nicht denken

Das Empathie nützlich für Innovation ist, ist nichts Neues. Dies wird schon seit Jahren, vor allem im User Centered Design und Design Thinking, betont. Dabei gibt es einen feinen, aber wichtigen Unterschied zwischen dem Mitfühlen von Emotionen eines anderen Menschen und der Annahme, dass man weiß, was der andere fühlt. Das ist qualitativ ein enormer Unterschied. Das Mitfühlen von Emotionen ermöglicht es, die Perspektive von Teammitgliedern und potentiellen Kunden/Partnern ganzheitlich und nicht nur im Verstand wahrzunehmen. Dementsprechend können wir unsere Kollaboration, Kreativität und die Innovation, die wir für andere schaffen, umfassender betrachten.

 

3. Überforderung stoppt Innovation

Wir haben die Summer School drei Monate nach dem Corona-Schock gestartet. Viele Teilnehmende, Mentoren und auch wir vom Team waren erschöpft. Erschöpft von den langen Videocalls und virtuellen Workshops, von der Unsicherheit, wie es weiter geht und von der Angst, die in Medien und in unseren Bekanntenkreisen zu spüren war. Aber auch ohne Corona ist das Thema Überlastung, Burn-Out und psychische Krankheiten inzwischen allgegenwärtig. Was wir nicht wollten, war zu viel zusätzlichen Druck zu kreieren.

 

Bewusste Pausen

Während der Sessions haben wir versucht auf ausreichend Pausen zu achtet. Wir haben Achtsamkeitsübungen eingebaut, kurze Yoga-Einheiten integriert, viel gelacht und nicht immer alles so ernst genommen. Wir haben uns als Menschen, mit unseren individuellen Energiereserven, unserem Körper und unseren geistigen und emotionalen Funktionsweisen wahrgenommen. Dabei haben wir immer wieder betont, dass es in Ordnung ist, sich mal zurückzuziehen oder auch, das Programm vorzeitig zu verlassen.

Während der Summer School haben dann auch einige Teilnehmende festgestellt, dass ihnen alles zu viel wird. Diejenigen, die aber dran geblieben sind, waren aus voller Überzeugung dabei. Sie waren nachhaltig motiviert und in der Lage ihre Energiereserven so einzuteilen, dass es zu keiner Überbelastung und damit zum Stop ihrer Projekte kam. Diejenigen, die vorzeitig ausgestiegen sind, haben dies nicht still und heimlich getan, sondern sehr genau reflektiert und uns ihre Beweggründe in persönlichen Nachrichten mittgeteilt. Daraus konnten wir wiederum sehr viel darüber lernen, was gut funktioniert und was nicht.

 

4. Storylistening inspiriert

In unserer fünften Session hat uns Ana-Laura das Thema Storytelling auf ihre eigene, sehr persönliche Art und Weise vermittelt. Dabei ging es nicht wie üblich darum, mit einer Geschichte sich und die eigene Innovation zu verkaufen (Storyselling). Ana-Laura vermittelte, wie man Geschichten aus dem Herzen, für andere und für sich selbst erzählt. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass die realen, eigenen Geschichten die eindrucksvollsten sind. Aber auch, dass das Zuhören und Lernen von Geschichten anderer Menschen mindestens genauso wertvoll ist, wie das Erzählen.

 

Zurück zum Menschen

Diese Perspektive auf das Storytelling hat uns dann auch dazu bewegt, die sechste und finale Session auf persönliche Lernstories zu fokussieren. Wir haben uns viele Gedanken dazu gemacht, wie wir mit den heterogenen Teams und Ideen umgehen, um dann zu unserer ursprünglichen Intention zurückkommen – den Teilnehmenden Raum für ihre persönliche Transformation zu geben. Der Fokus auf die persönliche Entwicklung war im Nachhinein eine sehr gute Entscheidung.  Die Abschlusspräsentationen waren kreativ, ehrlich, inspirierend, bewegend und zutiefst menschlich, ganz anders als die meisten Pitches in “normalen” Startup-Programmen. Diese Inspirationskraft und Authentizität ist eine starke Basis, um zukünftige Teammitglieder, Partner, Kunden und Investoren zu begeistern.

 

5. Innovation sollte man vorleben

Seit 2013 entwickle und begleite ich Lernformate zu Innovation und Entrepreneurship, aber auch diverse Acceleratoren, Inkubatoren und Innovationsinitiativen. Dabei erarbeite ich in der Regel einen genauen Ablaufplan als Grundlage. Dabei gibt es zwar auch Spielraum für spontane Anpassungen, aber es ist schon klar wohin die Reise geht und wer welchen Teil übernimmt. Diesmal haben wir uns bewusst dagegen entschieden und die detaillierte Ausgestaltung der Sessions Woche für Woche auf uns zukommen lassen. In der Praxis bedeutete das, dass wir nach jeder Session Feedback der Teilnehmenden, Mentor:innen und des Kernteams eingeholt haben und auf dieser Basis die nächste Session geplant haben. Es gab pro Session die Rolle des Session-Leads, der den Gesamtüberblick hatte und den Zoom-Master für den technischen Support. Außerdem gab es diverse Speaker und Mentor:innen, die für Inhalte und Übungen verantwortlich waren.

 

Agile Programmplanung

Es war für mich oft eine Herausforderung loszulassen und bei der Planung für die jeweilige Session abzuwarten bis das Feedback gesammelt wurde. Außerdem haben wir jede Woche 2-3 Abstimmungsmeetings durchgeführt, bei denen die spontane Terminplanung manchmal anstrengend sein konnte. Der große Vorteil dieser Vorgehensweise war die Flexibilität des Programms. Wir konnten uns stärker an die Bedürfnisse der Teilnehmenden anpassen, aber auch unsere Ideen spontan einbringen.

Wir haben festgestellt, dass wir, wenn wir über Agilität und Innovation sprechen, auch über Vertrauen in uns selber und unser Team sprechen müssen. Es war für uns wichtig, selbst das Mindset des Experimentierens und Scheiterns vorzuleben und nicht nur darüber zu reden. Dazu gehören auch Spontanität, Lockerheit und Humor, wenn etwas nicht so läuft wie es geplant war. Eine solche Situation war beispielsweise der plötzliche Ausfall eines Online-Kollaborationstools. Wir haben in dieser Situation kurz pausiert, um eine Alternative zu finden, die dann glücklicherweise gut funktioniert hat. Wenn wir selber alles 100% auf Hochglanz getrimmt hätten, wie hätten wir dann von Prototypen, scheitern und Vertrauen sprechen können?

 

“Puuuh, mega intense. Ich glaub ich muss mich gleich mal kurz auf’s Ohr hauen. Geile Komposition! Alles, was das Herz begehrt. Bin echt überwältigt und erstaunt, was herauskommt, wenn viele Menschen mit ihren Skills und ordentlich Motivation aufeinander treffen und Räume gestalten. Und ich bin noch mega gespannt, was dabei alles herauskommt. Die Summer School kommt wie gerufen.”

Sabine (Teilnehmerin Summer School)

Das hat sich auch im Feedback der Teilnehmenden zum wertschätzenden Umgang im Kernteam und der Stimmung während des gesamten Programms gezeigt. Dazu gehörte auch, dass wir persönliche Geschichten eingebracht haben, bei denen wir uns verletzlich gezeigt haben. So hat Bella sehr persönlichen über ihren Weg berichtet und damit viele Teilnehmer bewegt.

 

Ein großes Dankeschön

Ich bin sehr begeistert von unserer Teamleistung und der Geschwindigkeit mit der wir die Summer School in die Welt gebracht haben. Insbesondere der Umgang mit Unsicherheiten und die kleinen, unperfekten Momente haben für mich den Charme des Programms ausgemacht.

Danke an alle, die das möglich gemacht haben. Das Kernteam (Bella, Serge und Motoki), alle Mentor:innen, Supporter und Teilnehmenden.

 

 


 

 

Puhh, das war ganz schön viel. Atme gerne mal kurz durch …

 

Was fühlst und denkst du gerade?

Meld dich gerne bei mir mit deinen Anmerkungen und Fragen. Vielleicht hast du ja auch Lust, mehr “Mensch-sein” in die Startup- und Innovationswelt zu bringen. Oder du denkst, dass das alles Blödsinn ist. Ich freue mich auf jeden Fall über einen Austausch.

Bei Anfragen für Vorträge, Workshops usw. bitte wenn möglich Ort, Datum und Budget angeben.

 

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